Die U-Bahn Station Prügelberg-Nord war für eine U-Bahn-Station relativ sauber und undemoliert, lediglich ein paar Graffitis störten den Gesamteindruck. Tim hasste diese Schmierfinken, die immer alles zusprayten. Erst neulich hatte er ein paar dieser Chaoten aufgemischt, als sie im Prügelberger Park die Bäume besprühten. Dreisterweise hatten sie sich als Stadtarbeiter getarnt und sogar gefälschte Ausweise vorgezeigt, nachdem Tim einen von ihn niedergeschlagen hatte. Sie hatten behauptet, zu fällende Bäume markieren zu wollen, was Tims ökologisches Gerechtigkeitsempfinden zutiefst verletzt hatte. Wie gut, dass Gabi an dem Tag nicht dabei war, sie arbeitete zusammen mit Karl an einem Vortrag über das Paarungsverhalten höherer Säugetiere. Nachdem Tim die Personalien der beiden aufgenommen hatte, wollte er sie eigentlich laufen lassen, doch just in diesem Moment wollte ein morscher Ast direkt neben ihm aufgeschlagen, offenbar hatte die Sprayfarbe den Baum getötet.
Tim hatte den Ast mit einem raffinierten Karatetritt so erwischt, dass er einem der Gangster ins Gesicht geflogen war. Zufällig war Kommissar Glockner vorbeigekommen, der zu dieser Zeit beim Dezernat für Waldfrevel arbeitete. Er hörte sich Tims Ausführungen auf seine väterliche Art an und führte die beiden Verbrecher ab, wobei er scheinbar in einem beruhigenden Tonfall auf sie einredete. Auch Glockner schien nur knapp einem Ast entkommen zu sein, denn Tim hatte registriert, dass an Glockners Händen Spuren von morschen Ästen waren.
Daran musste Tim denken, als die vier Freunde ins Sonnenlicht auf den Vorplatz der U-Bahn-Station hinaustraten und sein Blick auf die Bäume des Prügelberger Parks fiel. Sie passierten eine Reklametafel, auf der Gabi abgelichtet war, die sich auf einem Riesenhaufen Hundekuchen der Marke Schnuppatop räkelte. Anfangs war Tim dagegen gewesen, dass Gabi sich von fremden Männern fotografieren ließ, aber Gabi hatte ihn nur angelächelt und ihm alles erklärt. Denn niemand anders als Karl, der ein begabter Fotograf war, sollte die Fotos machen. Das hatte Tim wiederum echt stark gefunden, dass Karl so selbstlos war, außerdem sollte ruhig jeder sehen, wie toll Gabi aussah. Tim selbst konnte bei der Fotosession nicht dabei sein, da Gabi doch sehr nervös war und Ruhe brauchte. So war sie mit Karl in dessen Kellerstudio gegangen, während Tim sich nützlich machte und den Garten der Viersteins auf Vordermann brachte.
Nach zwei Stunden waren die beiden wieder aufgetaucht, beide ziemlich rot im Gesicht und leicht verschwitzt, die mussten sich mächtig ins Zeug gelegt haben. Karl hatte zudem Flecken am Hals, die wohl von einer Hundefutterallergie herrührten, wie er leicht verlegen erklärt hatte. Die Fotos waren echt klasse geworden, wenn es auch nicht soviele geworden waren, wie man in zwei Stunden hätte erwarten können, aber das konnte Karl damit erklären, dass er die SD-Karte aus Versehen belichtet hatte. Einige der Fotos waren echt sinnlich, wie Tim anerkennend feststellte, und er war froh gewesen, dass Karl und nicht irgendein Fremder die Bilder gemacht hatte.
Und auch das Honorar(Bezahlung) für die Bilder, 500 Euro und ein Zentner Hundefutter für Oskar, war nicht von Pappe gewesen. Zwar hatte Willy aus Versehen einen Teil davon aufgegessen, aber Tim hatte an diesem Tag so gute Laune gehabt, dass er nur milde gelächelt hatte, er hatte wunderschöne Bilder von Gabi bekommen, und auch Gabi und Karl wirkten zufrieden.
Tim lächelte, als er das Plakat sah und machte seine Amigos darauf aufmerksam. Karl hustete, Kloß machte Komplimente. Zwei Typen, die zufällig vorbeikamen, guckten auch auf das Plakat und einer von ihnen sagte „Kiek mal Kalli, die Schnegge da auf…“ Weiter kam er nicht, weil Tim ihn am Kragen packte und ihm zuzischte „Passen Sie auf, was sie sagen, das ist meine Freundin, kapiert?“ „Äh, klar, kein Problem“, entgegnete der Typ. „Mann, da hast Du ja echt Glück, dass Du eine so schöne Freundin hast“. „Erstens: Duz mich nicht, Du Spinner. Zweitens warne ich Dich. Du solltest lieber abzischen, bevor ich ungemütlich werde.“ Er ließ den Typen los und dieser lief mit seinem Kumpel schnell in die U-Bahn-Station
„Klasse, Tim“, jubelte Karl und fuhr sich mit der Hand durch seine Dreadlocks, „denen hast Du’s gründlich gezeigt.“ „Ja, diese widerlichen Kerle“, pflichtete Gabi ihm bei. „Jahaaa“, rief Kloß, „anstatt auf das leckere Hundefutter zu achten, haben sie nur Augen für Gabi gehabt, zu Recht, wenn Ihr mich fragt“. Dem stimmten alle zu, außer Gabi, die errötete.
Gerda Glockner wohnte in der Gutmenschsallee 7 im Menschenfreundviertel. Das Menschenfreundviertel wurde im Volksmund Prügelberg genannt, seitdem die TKKG-Bande, namentlich Tim, dort vor einigen Jahren eine Gruppe von Limonadenpanschern dingfest gemacht hatte. Auf dem Weg dorthin mussten die vier Freunde einen kleinen Umweg machen, da Kloß seine Schokolade in der U-Bahn vergessen hatte. Jetzt schwankte er zwischen der Freude über vier Tafeln weisse Sahne-Nuß und der Tatsache, dass er einen Umweg machen musste. Leider war es nicht möglich gewesen, die Schokolade an der U-Bahn-Station zu erwerben, da der dortige Kiosk nach einem Überfall der Kiosk- Cracker, einer Bande, die die Millionenstadt seit Wochen terrorisierte, geschlossen war.
Die Kiosk-Cracker ärgerten Tim, da er die Täter immer noch nicht zu fassen bekommen hatte. Zwar hatte die Polizei Zeugen vernommen und verfolgte einige Spuren, aber solche theorielastigen Verfahren waren trotz seiner raschen Auffassungsgabe, seines mächtigen Intellektes und seines enormen Wissens nicht seine Sache, er verließ sich lieber auf sein Bauchgefühl, das ihn niemals trügte. So wie im Fall Gerda Glockner versus(gegen) Wuchpreisinger. Er nutzte den Spaziergang, um ein wenig über den aktuellen Fall nachzudenken. Wie seltsam das doch alles ist, eine Intrige gegen Kommissar Glockner, Wuchpreisinger, Gerda, Hasslebe. Puuh, wie passt das alles zusammen? Da muss es doch einen Zusammenhang geben, irgendwelche gleichzeitig geschehenden Dinge haben immer was miteinander zu tun, zum Beispiel dass Gabi und Karl oft am Abend gleichzeitg nicht per Handy erreichbar sind und Kloß dann immer so komisch ist. Oder die Kiosk-Cracker. Die haben den Kiosk am Prügelberg überfallen, nur wenige hundert Meter von Gerdas Wohnung entfernt und… „Das ist es!“ Tim schnippte mit den Fingern, die anderen blickten erstaunt auf. „Mir ist da gerade was eingefallen. Karl, würdest Du mir zustimmen, wenn ich sage, dass die Kiosk-Cracker immer nur Kioske an U-Bahnstationen oder der Nähe von U-Bahnstationen überfallen? “
Karl blinzte kurz, zog sein neues xPhone aus der Tasche und tippte etwas ein, guckte aufs Display und nickte. „Mensch Tim, Du hast recht. Der erste Überfall traf den Imbiss Würstelmeyer, der nur eine Querstraße entfernt von der Station ‚Hafenstraße Nord‘ liegt. Als nächstes wurde die Trinkhalle Rotnas ausgeraubt, die gegenüber der Station ‚Alte Heid‘ liegt, welche wiederum die Nachfolgestation von ‚Hafenstraße Nord‘ ist. Eine Woche später traf es den Kiosk ‚Im Tal‘, gelegen an der gleichnamigen Haltestelle, die laut Plan hinter ‚Alte Heide‘ kommt.“ „Wie heisst denn die nächste Station nach ‚Alte Heide'“ fragte Gabi, die vor Aufregung rote Flecken im Gesicht hatte. „Das ist ‚Unter den Gingkos'“, informierte Karl. „Und“, fragte Tim, „fand da auch ein überfall statt? “ „Du hast recht, Häuptling“, entgegnete Karl, „in der Tat wurde dort der Kiosk von Herrn Nettermann überfallen.“
„Mensch Tim“ entfuhr es Kloß, „woher wusstest Du das?“ „Das war nur eine Vermutung, Du Kakaotaucher“, entgegnete Tim spitz. „Also Karl, machen wir es kurz: Alle überfallenen Geschäfte lagen an der U1 und sie wurden in der Reihenfolge überfallen, in der die Bahn fährt, wenn man von Elendsloch in Richtung Jammershausen fährt?“
„Richtig, Tim, der letzte Überfall fand gestern hier am Prügelberg statt. Komisch, dass das der Polizei noch nicht aufgefallen ist. “
„Ja, aber das liegt wohl daran, dass Herr Glockner nicht mit dem Fall beauftragt ist“, meinte Tim. „Vielleicht ist es aber auch alles nur Zufall. Man müsste jetzt nur noch irgendwie rausfinden, wo die Gangster als nächstes zuschlagen, und wann. Aber bis wir keine konkreten Anhaltspunkte haben, brauchen wir die Polizei auch nicht zu belästigen“.
„Tja“, meinte Karl, „bis jetzt scheinen sie immer kurz nach der Ankunft der vorletzten U-Bahn an der jeweiligen Haltestelle zugeschlagen zu haben.“ „Interessant“, gab Tim zu, „aber das hilft uns auch nicht weiter. Na egal, vielleicht kommt ja noch ein Geistesblitz, wie wir diese Verbrecher dingfest machen können. Aber jetzt sprechen wir erst einmal mit Gerda, wir sind gleich da, Freunde.“
“ Ähm, Tim?“, meldete Kloß sich zu Wort. „Die Verbrecher klappern nacheinander Geschäfte ab, die entlang der U-Bahnlinie 1 liegen…“ „Ja, Schlaukopf, das haben wir gerade erörtert“, warf Tim ein, „und?“. „Nun ja, vielleicht fahren die Gangster ja mit der U-Bahn zum Tatort, vielleicht haben Sie ja eines dieser liniengebundenen Late-Night-Tickets, die vor ein paar Monaten eingefürt wurden, dazu passt auch, dass sie immer kurz vor Betriebsschluß…“ „Ach Kloß“, seufzte Gabi, „das ist ja nun ziemlich an den Haaren herbeigezogen, wenn dem so wäre, wäre Tim schon vor langer Zeit darauf gekommen, er ist doch so scharfsinnig.“ Karl lächelte Gabi verschmitzt an und Tim fühlte sich… geschmeichelt. „Leute, dahinten ist Gerads Haus, wurde aber auch Zeit, ich muss auch dringend aufs Klo.“